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Vierkanttretlager

„Jetzt weißt du es auch. Es wird Krieg geben. Doch wie neu ist das. Ein Mensch ist eine Kriegserklärung, zwei sind schon ein Krieg. Vielleicht hat die Menschheit dieses eine mal Recht in ihrer lachenden Grausamkeit. Jetzt weißt du es auch. Es wird einen Krieg geben, wie es ihn seit jeher gibt. Krieg und Krieg.”

Krieg&Krieg ist das neue Album der Band Vierkanttretlager.

Es ist vielschichtig, eingängig und widerborstig, brutal und voller Mitgefühl. Krieg&Krieg ist eine Liebeslieder singende Weltuntergangsmaschine, zugleich Schlag in die Magengrube und Finger in der eigenen Wunde.
In Zeiten in denen unüberbrückbar scheinende Differenzen wieder rücksichtslos an die Oberfläche unserer täglichen Realität gelangen, ist Krieg&Krieg die kühle Antwort auf brennende Fragen.

Krieg&Krieg ist das Folgewerk des 2012 erschienenen Debüts Die Natur greift an, in dem sich die Band an der Frage nach dem Menschsein abarbeitete und sich parallel einen Namen als furiose Liveband machte.

Wenn Krieg&Krieg nun erscheint, dann ist es nicht nur das Werk von Max Richard Leßmann (Gesang), Christian Topf (Gitarre) und Leif Boe (Schlagzeug), sondern nicht zuletzt auch von Produzent Olaf O.P.A.L., der im Studio maßgeblich dazu beitrug, dass jeder Ton, jeder Akkord, jeder Beat sich in den Dienst der Sache stellt und die Musik vor Anspannung förmlich vibriert. Gemeinsam haben alle Beteiligten ein Klangbild erschaffen, das in Verbindung mit Leßmanns Texten, ebenso modern wie zeitlos klingt. Zeitweise treibend, dann fast psychedelisch, schließlich immer wieder umarmend – schmerzlich und versöhnend.

Schon im titelgebendem ersten Song des Albums greifen Text und Musik untrennbar ineinander, wie die Zahnräder eines Uhrwerks das über neun weitere Lieder die Tage bis zum Weltuntergang hinunterzählt.
So grausam aktuell Krieg&Krieg auch ist, erfolgt die Antwort auf die schmerzliche Frage, ob die Menschheit eigentlich noch zu retten sei, nicht ohne diese zu hinterfragen — und erst recht nicht ohne Bedauern.

Was in der Musik von Vierkanttretlager aber so drängt, schiebt und zerrt, das ist nicht Wut, Angst oder Frustration, sondern Denken. Nicht dumpf brütend und im konzeptuellen Käfig gefangen, sondern bei aller Fokussierung frei assoziierend.

Immer wieder sprengen die Songs auch ihren inhaltlichen Rahmen. Etwa, wenn in „Lass uns den Verstand verlieren“ auf die Zeile „Bis wir tot sind leben wir für immer, und wenn wir tot sind, sind wir immer tot“ der scheinbar banale Ruf „Lieber Max, komm aus deinem Zimmer, es gibt in der Küche Abendbrot“ folgt, und so das bequeme Kleid der Metaebene vom Hörer abgleitet und er nackt vor den Tatsachen steht.

Genau deshalb haben auf Krieg&Krieg auch Liebeslieder wie „34 Narben“ oder „Kaktusblüte“ ihren Platz. Stellvertretend für die Hoffnung auf Hoffnung. Wie bei ihrem Hit „Fotoalbum“ geschieht dies freilich nicht ohne doppelten Boden, in dessen Zwischenraum nagende Fragen auf uns warten.

„Schweigen“ indes, der zärtlichste Song und Schlusspunkt des Albums, ist zugleich der emotional härteste — nicht nur in lyrischer Hinsicht, sondern auch weil sich spätestens hier offenbart, dass der Pressverband aus reißendem Unbehagen, den die Band sich angelegt hat, nicht verhindern kann, dass gelegentlich die ganze Tragik und Dringlichkeit hindurch blutet.
Ausgerechnet beim leisesten Stück von Krieg&Krieg wird klar, dass die Lautstärke, die beständig hinter Max’ Vortrag zu lauern scheint, eben doch keine rein suggestive ist. Die Ballade über den Doppelselbstmord der letzten beiden Menschen lässt das Album, das mit dem Titelstück „Krieg&Krieg“ quasi in der Apokalypse beginnt, konsequenterweise im Garten Eden enden. Wo es ganz bibelgetreu die Erkenntnis ist, die uns den Laufpass gibt.

Krieg&Krieg ist mit all seiner Melancholie aber aus vielerlei Gründen eine überaus erfreuliche Erfahrung.
Leßmann beherrscht die seltene Kunst, vielschichtige Inhalte in herrlich unverkrampfte Texte zu fassen. Sein grandios unmittelbarer Vortrag des unbarmherzigen, deterministischen Szenarios ist von tiefer Empathie beseelt, die Musik auf diesem Album schöpft währenddessen, obwohl im weitesten Sinne in der Tradition des (Post-)Punk verankert, jederzeit aus der Melodienfülle und Eingängigkeit des Pop.

Krieg&Krieg in vielen Teilen eine Ode an das Schweigen, bricht eben jenes genau zur richtigen Zeit und tritt mit einem ungeheuren Maß an Hingabe den Beweis an, dass Inhalt auch in moderner Popmusik immer noch einen Platz haben kann und muss.

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