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Haiyti

Du kriegst die Trap aus dem Jungen, aber du kriegst den Jungen nicht aus der Trap. Haiyti bleibt in den Straßen und realer, als dir lieb sein kann. Wenn die Lichter der letzten Nacht verbleichen, aber schreibt sie Hits für Future Legends. “Sui Sui” ist zuckersüß und dystopisch finster, Louis und Sui, maximal Pop und maximal Gangsta zugleich.

Alle Rapper wollen irgendwo hin, es liegt in ihrem Wesen. Das Ding ist: Haiyti war schon da. Sie war Pionierin, als eine der ersten erforschte sie im Untergrund das Erbe von Memphis und Atlanta. Sie war Phänomen, wurde zum Aushängeschild eines Missverständnisses namens “Cloudrap” und katapultierte den Sound von Deutschrap in ein neues Zeitalter. Sie war Popstar, wickelte die gesamte Industrie um den Mittelfinger und holte mit Avantgarde-Sound zwischen Trap, Emo und NDW den Echo. Sie war Projektionsfläche, aber weigerte sich, die Frauenkarte auszuspielen, die ihr in die Hand gedrückt wurde. Sie war auf Party, feierte ein Leben zwischen Exzess und Exit. Sie war pleite, entschloss sich aber gegen jede Regel der Vernunft, einfach weiter durchzuziehen. Weil es eben sein muss. Und nun? Ist sie immer noch Haiyti. Neben vielen anderen Kunststücken hat sie vor allem eines vollbracht: sich immer wieder neu zu erfinden, um dabei konsequent sie selbst zu bleiben.

Haiyti hat ein neues Album gemacht. Wie eigentlich immer. Mit über zehn Projekten in vier Jahre – Alben, EPs, Kollaboprojekten, Mixtapes – hat sie den Markt überschwemmt, ganz so wie sie es in der Trap gelernt hat. Das Schreiben, Aufnehmen, Hustlen ist ihr Normalzustand. Der Vergleich mit dem ewigen Gucci Mane hinkt nur deshalb, weil bei ihr immer etwas Interessantes herauskommt. So sehr Haiyti manchmal mit dem zusammenprallt, was andere Alltag nennen, so sehr lebt sie dieses Ding. Jeder hat seine eigene Welt. Haiytis Welt sind Melos, Flows, Hooks, Bilder.

Von Beginn an war Haiytis Musik geprägt von zwei Polen. Sie war Straße, weil sie da herkommt, und Pop, weil sie da hingehört. Auf “Sui Sui” führt sie diese beiden Pole ins Extreme. Fast alle der 16 Songs klingen sanfter, eleganter, eingängiger als alles, was sie bislang gemacht hat – teilweise komplett gesungen, süßlich wie einer der alten Drinks in den Hotelbars von St. Tropez, Bilder von ewigem Glanz in neuem Sound. Gleichzeitig aber strahlen die Geschichten eine endzeitliche Kälte aus. Das Ice, es ist schwarz, die Tek geladen, die die Situation ausweglos. “Sui Sui” klingt wie die Musik aus einem Lambo, der mit 300 km/h durch eine Einbahnstraße gleitet, weil jemand im Rausch das Sackgassenschild davor umgenietet hat. Das Ende dieser Straße aber, es entfernt sich mit jedem Meter weiter.

Auf “Sui Sui” finden sich Referenzen an Dancehall, Drill, Dreampop, Afrobeats, futuristischen R&B im Sinne von 070 Shake und – zum Beispiel auf der ersten Single “Toulouse” – brasilianischen Funk Carioca. Dazu kommt, was man von Haiyti gewöhnt ist: die 808 ballert, die Melodien kleben, Autotune ist auf Anschlag. Den Sound des Albums hat Haiyti mit dem Project X entwickelt. Project X, das sind sie und fünf verschiedene Producer, darunter solche mit zweistelliger Followerzahl auf SoundCloud und solche mit ordentlich Platin an der Wand. Weil in Haiytis Welt Meriten und Memorabilia aber nicht zählen, sondern lediglich das nächste Brett; weil sich diese Patchwork-Songs – aufgenommen in Sessions auf der ganzen Welt – in ihrer Hand zu einem neuen Ganzen fügen, treten die einzelnen Contributor nicht in Erscheinung. Haiyti hat sich nie etwas gemacht aus Namen, Titeln und den Insignien der Industrie. Es geht um die Musik und um das, was man darin finden kann. Es geht um Nachfrage und Angebot, den Ruhm und seinen Preis, alten Glanz und Future Legends, das Große und das Ende, Louis und Sui. Salut.

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