
Mittekill
Ein Weltgast auf Montage
Als ich Mittekill zum ersten Mal begegnete, war das Anfang der Nullerjahre.
Ein Nachbar spielte zufälligerweise in seiner Liveband Schlagzeug. „Der Typ ist ziemlich kauzig, aber wenn man genau hinhört, ist der Friedrich ein Genie!“, so die Worte meines Nachbarn, der für gewöhnlich niemanden mit Lob überschüttet, der nicht 1. schon tot und 2. Jazzmusiker ist. Ich habe es damals leider zu keiner Liveshow mit nachbarschaftlicher Beteiligung geschafft. Viel Gelegenheit dazu gab es auch nicht. Nach wenigen Auftritten löste sich die Band in Wohlgefallen auf.
Dann, nicht viel später erschien „Wasser oder Wodka“, jene unverschämt gute Clubhymne, die sich irgendwo zwischen Egotronic und Ladomat eingroovte. Ich fühlte mich sofort beauftragt in der TAZ eine Lobhudelei über das kommende Mittekill-Album „You Are Home“ zu schreiben. 2012 veröffentlichte ich dann selbst auf meinem eigenen Label staatsakt das dritte Album „All but old, bored and…“. „Ich will Eure Jobs nicht!” skandierten Mittekill damals über die sozialen wie asozialen Kanäle von YouTube bis zur Leftfield-Radiostation. „Friedrich Greiling kennt sich wohl aus in der Pop-Geschichte, er achtet auf Stimmungen, Rhythmen und die Macht von Konflikten. Greilings größter Verdienst aber besteht darin, reizvolle Musik für eine Stadt ohne Reiz geschrieben zu haben“, schrieb Kritiker Jan Wigger damals bei „Abgehört” auf Spiegel-Online.
Wieder gab es nur wenige, dafür fulminante Auftritte mit einer sehr gut besetzten Band und Friederich „Mittekill“ Greiling verschwand schon wieder in der Versenkung. Versenkung heißt bei ihm aber nie Lost in Suff oder Depression, sondern immer fleißiges Musikmachen in den freien Theatern und Projekten unserer Republik. Ein ewiges Weiter!
So enthält das vorliegende, vierte Album „Die montierte Gesellschaft“ die Essenz seiner freien Arbeiten der jüngsten Zeit, zu einer Platte montiert. Und in jedem Fall gibt es hier, bei allem spielfreudigen, musikalischem Eklektizismus, eine große inhaltliche Klammer: Die Flüchtlingsthematik.
So lässt sich „Die montierte Gesellschaft“ durchaus als Entwurf popkultureller Willkommenskultur lesen. Die, zumindest in der Pop-Musik, einfache Vermeidung postkolonialer Klischees, in der die Musik des Balkans und des Berghains Vergnügen an den gleichen Synkopen und 4/4-Bassdrums findet. Ohne eben die Frage nach der Urheberschaft einer fidelen Bummsmusik zu stellen. Ein Sound, in dem sich ein orientalisches Thema selbstverständlich durch die Harmonik des zentraleuropäischen, wohltemperierten Klaviers schlängelt, und sowieso am Ende alles auf Apple-Computern zusammengezimmert wird. Hergestellt in China. Designed in California.
Verschrottet irgendwo in Afrika. Darüber darf jeder singen oder rappen!
Ein Ignorant aber ist, wer hier dem Künstler vorwerfen möchte, mit seinem Produkt auf ein „heißes Thema“ aufzuspringen, nur um am Ende vielleicht ein paar Platten mehr zu verkaufen. Diese Songs entstanden nämlich tatsächlich in gelebter Begegnungskultur, sie sind Zeugnis von „Arbeit mit Flüchtlingen“, sind Kunst an absurden wie reizvollen Umwegen der menschlichen Nahrungskette angesiedelt.
Wo ein/e Theatermacher/in einen Antrag bei einer Stiftung oder einer öffentlichen Förderstelle stellt, um an irgendeinem Ort „was mit Flüchtlingen zu machen“.
Wo aber die prekär lebenden Schauspieler oder Musiker gewissermaßen im gleichen Boot sitzen, wie die am Projekt beteiligten Flüchtlinge, denn beide ringen um einen gesellschaftlichen Status, um Akzeptanz. Die einen überhaupt um das Recht zu bleiben, der andere um das nötige Geld, um nicht aus seiner Wohnung zu fliegen: Miete, Strom, Gas.
So ist „Die Montierte Gesellschaft“ ein humorvolles, groovendes, urbanes Monster, ja eine rollende, offene Werkstatt, in der die gerade so Angst-besetzten Themenkomplexe unserer Gesellschaft mit einer wunderbaren Leichtigkeit zu kleinen Pophits verarbeitet werden.
Erscheinen wird dieses kleine Wundermittel übrigens beim neugegründeten Musiklabel „WELTGAST music“ am 25.11.2016.
Da schaut auch schon mal Immanual Kant als Namenspate in der Gemüsedönerbude vorbei: „Der Weltbürger als Weltgast“. Und ich schreibe mal wieder einen begeisterten Text über diesen wunderbaren Mittekill-Kauz. Den Nachbarn habe ich gestern noch beim Inder getroffen. Er war gerade zwei Wochen in Marokko. Schlagzeugspielen mit einheimischen Musikern. Soll auch total spitze gewesen sein.
Unterwegs mit Mother Earth!
Ihr: Maurice Summen.
Videos
Tourdaten
25.11. Berlin – Kantine am Berghain
09.12. Leipzig – Blaue Perle
14.12. Hamburg – MS Stubnitz
15.12. Bochum – Bastion
17.12. Köln – Stereo Wunderland