Aversion

Die Zeit ist reif für die Antilopen Gang und ihre „Aversion“

Das Debütalbum der „besten Hip Hop-Crew dieses kaputten Landes“ (Intro) ist nicht weniger als ein Ausnahmewerk. Musikalisch und textlich auf höchstem Niveau verbindet „Aversion“ Rap, Punk, Politik und Pop zu einem im deutschen Sprachraum bislang unerhörten Spektakel.
Mit den 16 Tracks ihres Longplayers dringt das Rap-Trio nicht nur in kaum erschlossene Regionen des Hip Hop vor, sondern wagt sich auch in Abgründe, die bislang nur von wenigen Wagemutigen erforscht wurden. Herausgekommen ist dabei ein Werk, das oftmals alle möglichen Stilgrenzen mehr als strapaziert und dem Hörer eine fesselnde Tragikomödie aus Worten und Klängen darbietet.
Die Antilopen Gang besteht aus Koljah, Danger Dan und Panik Panzer. Im Gegensatz zu anderen Gangs beanspruchen sie kein bestimmtes Territorium, jedoch haben auch sie gangtypische Erkennungszeichen wie Tätowierungen, Sprachcodes und einen eigenen Humor. Und wie in jeder Gang sind all ihre Mitglieder Brüder. Panik Panzer und Danger Dan sogar leibliche.
Das erste Aufeinandertreffen der heutigen Antilopen Gang ist bezeichnend für die Wurzeln der Musiker: Ihre Wege kreuzten sich 2003 auf dem Gründungstreffen eines linksradikalen Hip Hop-Netzwerks. Mit weiteren Mitstreitern aus ganz Deutschland glaubte man zu dieser Zeit ernsthaft, reaktionären Tendenzen des Genres entgegentreten zu können und brachte regelmäßig Rap auf die Bühnen alternativer Jugendzentren und vergammelter Punkschuppen im gesamten Bundesgebiet.
Als Koljah, Danger Dan und Panik Panzer 2009 zusammen mit ihrem Freund NMZS die Antilopen Gang gründeten, hatten sie ihre eher platten Polit-Rap-Bemühungen längst hinter sich gelassen. Agitation und Parolen waren nun erfolgreich gegen Adlibs und Punchlines eingetauscht worden
Die chaotische, aber verhältnismäßig heile Welt der Antilopen Gang wurde im März 2013 durch eine Tragödie erschüttert: Der schwer depressive NMZS nahm sich das Leben. Dieses schreckliche Ereignis markierte einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Band. Ganz bewusst und auch auf den Wunsch des verstorbenen Freundes hin, löste sich die Gang nicht auf, sondern kehrte nach einer kurzen Auftrittspause auf die Bühne zurück und demonstrierte die eigene Unbeirrbarkeit. In der folgenden sehr intensiven Zeit bildete sich bei den verbliebenen Musikern eine „Jetzt erst recht“-Mentalität heraus. Befeuert von diesem Ehrgeiz fasste die neue Antilopen Gang den Entschluss, fortan alle Solo Aktivitäten der Gang unterzuordnen, live nur noch in kompletter Besetzung zu spielen und so bald wie möglich die Arbeit am ersten Album als Antilopen Gang zu beginnen.
Während der Veröffentlichungsphase des posthumen NMZS-Albums „Der Ekelhafte“ im November 2013 war die Aufmerksamkeit seitens Presse und Publikum für die Gang so groß wie nie zuvor. Zwischen durchgemachten Nächten, in denen die Musiker in Koljahs mit Merchandise-Kartons vollgestopfter und deshalb kaum begehbarer Wohnung tausende CDs verpackten, Telefonaten mit dem Internet Provider, weil die hohen Downloadzahlen den Server zum Absturz brachten und ausufernden Kneipenabenden, die für manche Gangmitglieder in einer dauerhaften Abstinenz endeten, entwickelte die Antilopen Gang nun den Wunsch, ein Stück D.I.Y. hinter sich zu lassen und sich zu professionalisieren. Zu keinem besseren Zeitpunkt hätte die Kontaktaufnahme von JKP- Geschäftsführer Patrick Orth kommen können, der zufällig Zeuge eines konfusen Radiointerviews der Gang geworden war und nun Interesse an einer Zusammenarbeit signalisierte. 2010 hatte der lebenslange Tote-Hosen- Fan Koljah noch scherzhaft gerappt „Mein Wunschlabel ist natürlich JKP“; nun sollte dieser Wunsch in Form der Veröffentlichung des Antilopen Debütalbums tatsächlich in Erfüllung gehen.
Textlich ist das Album geprägt von sowohl bitterbösem Humor als auch einer neuen Ernsthaftigkeit. „Aversion“ strotzt nur so vor Punk-Referenzen und Abrechnungen mit dem eigenen Scheitern sowie dem der Anderen. Es geht um eine alles bestimmende Aversion, die sich gegen die Gesellschaft und die Welt genau so richtet wie gegen sich selbst. Damit knüpft das Album thematisch zwar mehr oder minder an vorherigen Output der Gang an, bezieht aber deutlicher Position. Aus einer existentiellen Situation heraus geboren, kommt „Aversion“ nicht um existentielle Themen herum, findet aber endlich den Mut, diesen nicht nur mit Ironie zu begegnen. Dies bedeutet nicht zuletzt, dass es nie eine politischere Antilopen-Veröffentlichung gab.
Um dem Album auch musikalisch die lang ersehnte, eigene und wiedererkennbare Note zu geben, betätigten sich – wie zu den Anfangszeiten der Gruppe – Danger Dan und Panik Panzer als die federführenden Produzenten. Dabei kombinierten sie klassischen Rapsound mit zahlreichen live eingespielten Instrumenten. Feingeschliffen wurde das Album in den Kölner Brewery Studios mit Roe Beardie, der mit seiner Produktionsfirma Headrush seit den 90er Jahren für zahlreiche Deutschrap-Klassiker verantwortlich ist.
„Aversion“ schlug im Herbst 2015 ein wie ein Bombe: Mit ihrem innovativen Hip Hop-Ansatz konnte die Gang nicht nur in dieser Szene punkten, sondern auch aufgeschlossene Hörer anderer Musikrichtungen begeistern. Identifikationsstiftendes Alleinstellungsmerkmal des Longplayers sind neben den musikalisch mitreißenden Liedern vor allem die außergewöhnlichen Texte der Antilopen, die sich mit dem Gesamtkomplex Freude und Zumutungen des täglichen Daseins befassen.
Für zusätzliche Aufmerksamkeit und große Begeisterung in den Reihen der Band sorgte die Anzeige des Berliner Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen, der versuchte, per einstweiliger Verfügung die Hitsingle „Beate Zschäpe hört U2“ zu verbieten, weil er sich darin verunglimpft sah. Der zuständige Richter wies das Ansinnen jedoch ab und so musste Jebsen sämtlicher Rechtskosten sowie die Anwaltskosten der Antilopen Gang bezahlen.
Live entwickelte sich die Antilopen Gang zu einem Aufreger und Publikumsmagneten erster Güte: Mit ihrer energiegeladenen, provokanten Show zählten sie 2015 zu den Attraktionen des Festivalsommers. Ebenso unterstreicht die unglaubliche Anzahl gespielter Konzerte die anhaltende Begeisterung ihrer stetig wachsenden Anhängerschaft.
Nach den letzten vorliegenden Recherchen ist die Antilopen Gang damit weltweit die Crew, die im Hip Hop-Biz nach dem Erscheinen eines Albums 2014/2015 die meisten Konzerte im Rahmen der dazugehörigen Tournee gespielt hat. 103 Konzerte folgen der Veröffentlichung von „Aversion“ am 7.11.2014 bevor am 19.12. diesen Jahres die „Aversion“-Tournee offiziell beendet wird und Geschichte ist.
Im Oktober dieses Jahres erspielte sich die Antilopen Gang den New Music Award 2015, einen der wichtigsten Preise für junge Musiker in Deutschland, der von den ARD-Jugendradios vergeben. Einen Monat zuvor waren sie bereits mit dem VIA- Award als „Bester Newcomer“ ausgezeichnet worden. Mit den VIA Awards, die bereits zum dritten Mal vergeben wurden, zeichnet der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) Talente für ihre Qualität und Neuartigkeit aus – und zwar unabhängig vom kommerziellen Erfolg.
Ziemlich genau ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Aversion“ meldet sich die Antilopen Gang am 12.11. mit neuer Musik zurück. Das Mixtape „Abwasser“ soll die Wartezeit bis zum nächsten Album überbrücken und enthält 14 neue Tracks. Wie in alten Zeiten stellen die Antilopen das Mixtape, welches ausschließlich ihrer eigenen Belustigung dient, als Free Download zur Verfügung. Kein roter Faden, kein Schnickschnack, aber ein paar gute Sprüche, dezent große Schnauze und polternder Wahnwitz. Die Antilopen Gang hat momentan hörbar Spaß daran, Rap in seiner pursten Form zu machen; wie auch immer sie diese neue Veröffentlichung bei ihrem absurd prallen Terminkalender überhaupt gestemmt haben. Antilopen-Fans der ersten Stunde fühlen sich angenehm an früher erinnert, Aversion- Mode-Fans sind irritiert, aber finden es auch geil, und die Aluhutträgerfraktion bereitet neue Anzeigen vor. Alles ist aus Abwasser, alles ist aus!
Antilopen Gang – die Besetzung:
Koljah (moralische Instanz, wohnhaft in Düsseldorf) Danger Dan (verkanntes Genie, wohnhaft in Berlin)
Panik Panzer (geheimer Strippenzieher, wohnhaft in Köln)